Gegen das Vergessen
Filmmaterial: Ringeisen-Gymnasium-Ursberg

Akteure des Filmprojektes: Mitwirkende Schüler, Lehrer und Sr. M. Dominika Nuding (vierte von rechts). Gruppenfoto zusammen mit der Generaloberin der St. Josefskongregation Ursberg Sr. M. Katharina Wildenauer (Mitte), Schuldirektor Andreas Merz (zweiter von links), Mathias Jannetti (rechts),
Martin Rexer (hintere Reihe von rechts) und Schirmherr MDL Klaus Holetschek (zweiter hintere Reihe von rechts).
Foto: Klemens Funk
Ursberger Gymnasiasten widmeten sich der verdrängten Geschichte der NS-„Euthanasie“. Mit Musik, Film und eindringlichen Worten verknüpften sie Gegenwart und Vergangenheit.
Die Verbrechen der Nationalsozialisten an Menschen mit Behinderung – auch bezeichnet als NS-„Euthanasie“ – sind bis heute im öffentlichen Bewusstsein weitaus weniger präsent als andere Kapitel der NS-Zeit. Ein außergewöhnliches Schulprojekt des Ringeisen-Gymnasiums will an diese Menschen erinnern und hat dafür einen Kurzfilm gedreht. DEPORTATION WITH HANDICAP wurde am 20. September 2025 erstmals gezeigt und erzählt die wahre Geschichte des taubstummen Heinrich Bodenmiller aus Ursberg, der sich 1941 der anstehenden Deportation entziehen konnte.
Den Schülerinnen und Schülern des Praxisseminars der 11. Jahrgangsstufe (Schuljahr 24/25) am Ursberger Ringeisen-Gymnasium war zusammen mit ihren Lehrern ein Projekt von herausragender Bedeutung gelungen. Der Musiklehrer Mathias Jannetti, der auch die Filmvorstellung moderierte, analysierte im Unterricht die Filmmusik „Shadows“ von Nathan Avakian und vermittelte damit wichtige Anstöße für die Bearbeitung eines lange Zeit totgeschwiegenen Kapitels deutscher Geschichte: der Verschleppung und Ermordung von Menschen mit Behinderung. Jannetti orgelte dann vor der Filmpräsentation die szenische Tonschöpfung des mehrfach ausgezeichneten amerikanischen Komponisten.
In ihrem Grußwort widersprach die Generaloberin all den Tendenzen, die Erinnerungen an die Euthanasie des Naziregimes abgehakt wissen wollen: „Wir brauchen die Erinnerung, um ein Wiederaufflammen menschenverachtenden Denkens in Zukunft zu verhindern.“ Aktuell zeige sich die Gefahr, den Wert von Menschen zu taxieren, die unseren Schutz und Sicherheit suchen, in manch anderen Formen. Sie appellierte, einfühlsam und sorgsam damit umzugehen, wen wir abschieben. Den Mitwirkenden des Kurzfilms dankte sie ebenso wie den gut zweihundert Besuchern im Ringeisensaal des Gymnasiums für jeden Beitrag zur Achtung der Menschenwürde.
Klaus Holetschek, Fraktionsvorsitzender der CSU im Bayerischen Landtag, griff als Schirmherr der Veranstaltung dieses Thema auf. Nach den Erfahrungen aus Holocaust und Euthanasie stehe an erster Stelle im Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Der Film rücke ins Bewusstsein, wie schnell Uniformen, Stempel und Befehle Menschlichkeit verdrängen können, wenn wir nicht widersprechen. Er sprach Schülern und Lehrern seine Anerkennung dafür aus, dass sie durch ihr Erinnern, ihr Aufklären und ihr Handeln sich für Demokratiebildung und gegen Extremismus engagieren.
Als Gastredner stellte der Stuttgarter Kulturwissenschaftler Martin Rexer die historischen Verläufe dar. Dem Erlass des Sterilisierungsgesetzes im Jahr der Machtergreifung der Nationalsozialisten zur Verhinderung von „lebensunwertem Leben“ und dem Leben von „Volksschädlingen“ ging ein langer Diskurs voraus. Die zynische Feststellung, dass die Beseitigung von „Ballastexistenzen“ wirtschaftlichen Aufwand verringere, führte von Zwangssterilisation zur Euthanasie von Menschen mit Handicap.
Einrichtungen wie Ursberg mussten Name und Gebrechen jedes Heimbewohners anzeigen. Dieser Anzeigepflicht konnten sich die Ursberger Schwestern lange Zeit widersetzen. Von Ursberger Heimbewohnern wurden 227 zwangssterilisiert, 519 deportiert und davon 379 ermordet – durch Gas, medizinische Versuche oder
Hungertötung. Während andernorts psychisch Kranke und Behinderte mit Bussen der Reichspost, deren rote Lackierung mit einem
grauen Tarnanstrich zum Schutz vor Luftangriffen versehen war, in sogenannte Zwischenlager verbracht wurden, erfolgten die Transporte aus Ursberg mit zivilen Bussen. Die grauen Busse der „Gemeinnützigen Krankentransportgesellschaft“ hießen in Ursberg „das Auto“, von denen am Tag oft mehrere kamen. Oft wurden die Registrierten von dem ärztlichen und pflegerischen Begleitpersonal mit Gewalt in die Busse gezwungen. Nach der Verbrennung wurde die Asche von der Reichspost den Angehörigen „kostenfrei“, wie ausdrücklich vermerkt war, zugestellt. Rexer verweist darauf, dass diese Deportationen, die zwischen 1940 und 1941 vorgenommen wurden, bei der historischen Aufarbeitung der Naziverbrechen bis in die 1980er Jahre ausgeblendet waren.
Den Filmemachern war es gelungen, mehrere Themenschwerpunkte bildlich umzusetzen. Zu Beginn zeigte ein Ausschnitt, wie die Heiminsassen vor ihrem Abtransport einen Gottesdienst besuchen. Nach einem Bild von der erhobenen runden Hostie wird der rollende Reifen eines der Busse eingespielt. Dies kann als Hinweis darauf gesehen werden, wie das christliche Liebesgebot unter die Räder kommt. Eine weitere Szene zeigt, wie beim Verlassen des Busses einer der Ärzte oder Wärter seine Zigarette unter dem Stiefel ausdrückt. Nachdem unter den verzweifelten Blicken der betreuenden Schwester ihre Schützlinge aus den Kirchenbänken gezerrt werden, bekommt jeder auf den Nacken seine Registrierungsnummer geschrieben, mit der er letztlich ins Tötungsregister eingetragen wird. Bei diesem Vorgang flieht der Gehörlose Heinrich Bodenmüller aus der Kirche und kann seine Verfolger abschütteln.
Er lebte in Ursberg bis zum 15. Oktober 1974. Den Drehbuchautoren gelang es mit einfühlsamen Andeutungen das Stillschweigen darüber, was sich unter „Deportation“ verbarg, erahnen zu lassen.
Text: Klemens Funk
Die Darstellerinnen und Darsteller des Kurzfilms „DEPORTATION WITH HANDICAP“:
Print/Nonprint/konzeptionelle Unterstützung der Veranstaltung: Robert Bielesch, CSJ
Kontakt
St. Josefskongregation Ursberg
Referat Öffentlichkeitsarbeit l Mediendesign
Robert Bielesch
Telefon: 08281 / 92 3017
E-Mail: bielesch.robert.csj@ursberg.de